Freitag, 12. September 2014

Vierter Rundbrief Das Finale: Marianne ich liebe dich!

Im September 2013 war Paris für mich auch nur eine Großstadt. Eine Großstadt mit viel Prunk. Im Grunde genommen nicht bedeutender als meine Heimat und in jedem Fall, so dachte ich, würde ich nach diesem Jahr Essen nie wieder verlassen können. Die Distanz von Familie, Freunden und allem Vertrauten hatte nicht selten in mir ein Gefühl von Heimweh hervorgerufen.
Ein Jahr später amüsiere ich mich bestens mit den Franzosen beim Austausch französischer Redewendungen und den Empfehlungen über die schönsten Orte, die wir aus dem Hexagon kennen. Den Einwohnern aus Paname (Paris und Umgebung) kann ich meistens sogar deutlich mehr über ihre Region erzählen als sie selbst und sie bestätigen mich in meinem Gefühl ein richtiger Chauvin (Patriot) geworden zu sein. Wonnen der Glückseligkeit durchfließen mich bei jedem Gedanken an die Gespräche, die Wunder der Natur und der Menschenhände, die ich in diesem Jahr in Frankreich erleben durfte. Marianne, ich liebe dich!
Auch die Franzosen haben mich nicht gerne gehen lassen. Für den letzten Gottesdienst des Schuljahres hatte ich mit einer Sopranistin einen Chor formiert. Zuvor hätte ich es nie für möglich gehalten, dass ich jemals Erwachsene (!) Menschen auf Französisch unterrichten würde. Ich hatte mit ihnen mehrstimmige Lieder aus dem Gesangsbuch (auch zwei neue) und ein Stück von Fauré einstudiert. An dem Tag wurde ich auch offiziell verabschiedet. Ich habe eine Rede gehalten und viele passende Bücher geschenkt bekommen. Gewiss habe ich dort einen großen Fußabdruck in der Gemeinde hinterlassen, viel Größer ist aber der Eindruck, den ich aus dem Jahr mitnehmen darf. Wir hatten im Anschluss noch ein tolles gemeinsames Essen und dann gingen die Ferien los. 3 Tage bei den Freiwilligen in Montpellier und danach für fast einen Monat in die schöne Normandie auf das ereignisreiche Pfadfinderlager.
 Bevor die Jugendlichen kamen haben wir eine super entspannte und lustige Woche damit zugebracht, Klos, Duschen und Tische zu bauen und nicht zuletzt aber auch die WM Spiele zu verfolgen. Zumindest die französischen. Deutschland – Algerien habe ich im Zelt auf dem Handy verfolgen müssen. Für Frankreich – Deutschland sind wir aber zu einem richtigen Public Viewing in den Ort gefahren. Als wir im Ort ankamen, standen schon über 200 Leute auf dem Marktplatz, alle samt blau-weiß-rot farbig bekleidet. Kein Grund für mich, sich nicht mit seiner Deutschlandflagge in die erste Reihe zu setzen und seine Mannschaft anzufeuern zu bejubeln. Im Laufe des Spiels wurden meine Kollegen aber immer enttäuschter. Am Ende totale Frustration. 
Dennoch: einige Franzosen gratulierten mir. 70 Jahre nach der Besatzung des Atlantikwalls durch deutsche Panzerdivisionen und der Invasion der Alliierten am 06. Juni 1944, als die Franzosen im Viertelfinale gegen die Deutschen rausfliegen, sind sie bereit auf dem Boden grauenvoller Schlachten einem deutschen zum Sieg zu gratulieren. Auch dass ich auf der Rückfahrt im Auto mit 3 Verlierern wie wild hupen und bis zum Schluss meine Flagge aus dem Fenster wehen durfte, bevor ich sie dann bis zum Ende des Lagers an einen Mast auf dem Feld gehängt habe, zeugt von unglaublicher Toleranz und Versöhnungsbereitschaft. Das stärkste Bild von Völkerverständigung, welches ich dieses Jahr erleben durfte.

Für das Lager waren zwei Inspektoren angekündigt. Einer während Deutschland – Brasilien, der andere für das Finale.
Diese Füchse.
Tatsächlich konnte ich Deutschland – Brasilien nur zur zweiten Hälfte am Liveticker verfolgen, da ich am Abend eine Aktivität geleitet hatte. Also machte ich zur zweiten Halbzeit das Handy an und traute meinen Augen nicht. 5:0?? Was ist da passiert. Als die Jugendlichen am nächsten Morgen dann das finale Ergebnis erfahren durften, hat ein Pfadfinder aus Wut den Fahnenmast aus dem Boden gerissen. Für das Finale konnte ich aber dann doch problemlos vom Inspekteur die Erlaubnis erbitten, am Abend das Gelände verlassen zu dürfen. So lief ich 6km durch die Dörfer (Anhalter hat nicht geklappt), um dann endlich erst einen Imbiss zu finden (der leider nach der ersten Halbzeit schließen musste) und mich dann schließlich in der letzten geöffneten Bar niederzulassen. Eine Bar mit mir und der Deutschlandflagge, 3 Franzosen und 8 Argentiniern. Atmosphäre angespannt. Den Rest kennt ihr ja selber. Die Barkeeperin hat mir einen ausgegeben und ich bin jubelnd mit wedelnder Deutschlandflagge an den Landstraßen durch die Nacht stolziert.
Natürlich wäre es schöner gewesen, dieses Ereignis mit Deutschen, oder überhaupt mit jemandem feiern zu können, auf der anderen Seite konnte ich so den Sieg in die Welt hinaus tragen und die frustrierten Franzosen mit der Omnipräsenz des Weltmeisters beehren. Ansonsten ist das Lager auch weiterhin sehr gut gelaufen. Wir hatten zwar einige Autoritätsschwierigkeiten und 3 Jugendliche nach hause schicken müssen, aber auch eine sehr intensive und schöne Zeit mit den 22 Jungen und Mädchen. 
Unter dem Motto Cowboy & Indianer haben wir getobt, gebaut, gespielt, diskutiert, sind gewandert und sogar am Strand gewesen. Ich bin den Mitarbeitern sehr dankbar für die Verantwortung, die sie mir dafür überlassen haben. Neben meiner Rolle als Erste-Hilfe-Mann, durfte ich auch einige Spiele und Vorträge schreiben. Besonders für die biblischen Themen bin ich von großer Hilfe gewesen. Unser Verhältnis untereinander war wirklich hervorragend. Das hatte sich erst in dem Wochenende zuvor ergeben, als wir gemeinsam über unsere Probleme und Ziele diskutiert haben und den Rotstift in der Programmgestaltung angesetzt haben. Endlich.

Nach dem Camp bin ich selbst dann noch als Teilnehmer für eine Woche in die Alpen zu einem katholischen Kloster mit 1400 weiteren Jugendlichen gefahren. Eine Woche voller Entdeckungen des heiligen Geistes als auch des Sports und Spaßes. Ich habe es sehr genossen.

Zuletzt war ich noch eine Woche in Paris. Paris Plage, der aufgeschüttete Sand am Seine Ufer floppte aber gegen die echte Sand- und Felslandschaft im Wald von Fontainebleau.
















Nun bin ich wieder daheim. In der Stadt in der Nähe von Köln, falls dir das was sagt. Ein wundervolles Jahr ist nun zu Ende. Die schönste Zeit meines Lebens. Was habe ich auch alles erlebt. Über 15 Konzerte, über 25 Museen und Schlösser, ich habe einem hochverehrten Filmkomponisten die Hand gegeben, wurde von meinem Schulchor besucht und ich hab in dem Jahr mehr gesehen als in meinem bisherigen Leben.
Ein FSJ bietet die einmalige Möglichkeit, ohne große Verantwortungen und Verpflichtungen ein Land und sich selbst zu entdecken.
Den puren Luxus zu besitzen, mal just für einen Tag zu den Loireschlössern zu fahren und seine Bildschirmhintergründe in live zu betrachten.

Das geschätzte Privileg, die Metro als reines Transportmittel zu verstehen und sich über 5 Minutenwartezeit zu ärgern. Bloß nach Paris zu fahren, weil man Freunde besucht, einkaufen oder ins Kino gehen will. Die Freude so tief in eine Sprache eingetaucht zu sein und dadurch so viele Beziehungen geknüpft zu haben.


Ist alles jetzt vorbei? Es fängt erst an. Fest steht, dass ich anders aus diesem Jahr heraus komme, als ich herein gegangen bin. Ich war naiv und ängstlich und hätte meine Arbeit zu Beginn sicher besser machen können, als ich sie geleistet habe. Doch Wachstum braucht seine Zeit und dieses Jahr hat mir erst den Weg bereitet, auf dem ich meinen Freiwilligendienst fortsetzen will und mein Leben bestreiten kann.

Ich danke Euch allen herzlich für die Gebete und die Unterstützung. Für Eure Interesse und das offene Ohr. Danke dafür, dass Ihr mir dieses Jahr und diese Zukunft möglich gemacht habt!

Bisous,
Gabriel