Montag, 3. März 2014

Der Chorbesuch und andere Zeichen von Gemeinschaft 2. Rundbrief

Für Franzosen bedeutet Demokratie, dass jeder tun kann was er will“, sagte mir neulich eine Kollegin über ihr Volk. Ich musste lachen. Wie wahr. Zugegebenermaßen ist es aber genau jenes Missverständnis von Freiheit, welches ich als liebenswürdigen Mode de vie der Franzosen aufgefasst und nicht selten nachgeahmt habe. Im Prinzip ist es ja auch garnicht so verkehrt, die Dinge etwas weniger ernst zu nehmen. Ich bin aber auch nicht der, dem ein Fahrradfahrer in der Einbahnstraße entgegenkommt, der anhalten muss um die Fußgänger über rot laufen zu lassen, der auf seine Verabredung warten oder den falsch getrennten Müll der anderen sortieren muss. Mich stört das nicht. Ich bin aber auch der andere. Ich kann an dieser unseriösen Lebensart also nur Gefallen finden.
In der Tat bin ich schon zweimal als Geisterfahrer in der Einbahnstraße einem Polizeiauto entgegen gefahren ohne angehalten zu werden, auch beim Über-rot-laufen muss man sich nicht vorher der reinen Luft vergewissern. Schwarzfahrer gibt es hier en masse und für den Fall des Falles sogar eine Versicherung. Parken muss auch nicht geübt sein, solange die geknautschten Autos Franzosen gehören, die nicht nur Stoßstangen als Gebrauchsgegenstand verstehen.

Das Leben als Franzose ist für mich normal geworden wie der Käse zum Wein. Ich liebe meine Vorstadt. Hier genießt man noch Gemeinschaftsgefühl und Höflichkeit. Oft begegne ich Bekannten aus der Gemeinde, dem Chor oder der Pfadfinderei, aber selbst viele Obdachlose erkennen mich durch die Arbeit im Centre oder von Resto du Coeur. Manche kenne ich schon mit Namen und führe Small Talk. Darunter auch Monsieur Martin, der übrigens seine Gitarre wieder hat. Die Arbeit bei Resto du Coeur, die ich im letzten Rundbrief angekündigt habe, ist immer noch sehr wichtig für mich. Zwar habe ich die morgendliche Lebensmittelausgabe aufgegeben weil sie gut und alt besetzt ist, widme mich aber stattdessen der Speisung am Abend bis in die Nacht (18 30 – 22). Auch hier erlebe ich oft sehr solidarische und gemeinschaftliche Klienten.


Desweiteren habe ich auch mein Wirken im Centre 72 ausbauen können.
Letztes Jahr habe ich in der Pfadfinderei eher eine Mithelfer Funktion ausgeübt und konnte die Auffassung meiner Kollegen nicht teilen, ein Lehrer für die Jugendlichen zu sein. Nach Diskussionen und vielen Vorschlägen, habe ich mich aber durchsetzen können, aktiver Gestalter des Nachmittagprogrammes zu sein, was den Jugendlichen viel Spaß bereitet. Wir handeln nun als Verantwortliche einen guten Kompromiss zwischen Pädagogik und Spiel aus.
Nachdem eine Ehrenamtliche aus dem Centre das Kochen von über 200 Marmeladen für den jährlichen Weihnachtsmarkt aufgegeben hat, bin ich begeistert davon, diese Aufgabe übernehmen zu dürfen. Mir macht das unglaublich viel Spaß und es tut gut, neben so viel Beziehungsarbeit auch etwas materiell-produktives zu leisten.
Musikalisch sind auch neue Projekte am Start; Mit der Groupe Jeunes (den Jugendlichen zwischen 15-18 Jahren), gestalte ich einmal im Monat die Musik im neuen Abendgottesdienst unserer Gemeinde. Wir sind eine Band bestehend aus Klavier, Violine, Flöte und Gitarre mit einigen Sängern und singen jüngere Lieder des Liederbuches. Außerdem suche ich gerade einige SängerInnen für einen Projektchor zusammen, der am Ende des Schuljahres seinen Auftritt im Gottesdienst haben wird.

Das musikalisch und auch in anderen Bereichen größtes Ereignis war aber mit Abstand der Besuch meines Schulchors des ehemaligen Gymnasiums in Essen. Schon als ich letztes Jahr dem Chor angekündigt hatte, im folgenden Jahr aufgrund des Auslandsaufenthaltes nicht mehr im Chor mitsingen zu können, hatte meine Chorleiterin sofort die Idee ergriffen, mich mit dem Chor besuchen zu kommen und in der Gemeinde zu singen. Und so kam es, dass ich am letzten Februar Wochenende tatsächlich 12 (z. T. ehemalige) SchülerInnen, Eltern und unsere Leiterin in den Arm nehmen konnte. Immer als ganze Gruppe zusammen, haben wir 2 Tage lang in einer unglaublich freundschaftlichen und lustigen Atmosphäre die Stadt erkundigt und überall gesungen;


Mit der Gitarre sangen wir an der Haltestelle, in der Bahn, am Eiffelturm, am Weinberg vom Sacré Coeur und mit Klavier am Bahnhof. Das eigentliche Konzert fand aber in meiner Gemeinde während dem Gottesdienst statt. In dem normalen Gottesdienstablauf eingebettet, haben wir von Beatles bis Rutter einige wunderschöne Lieder dargeboten und viel Dank von den Besuchern geerntet. Selbst ein französisches Lied haben die Mädchen vorgetragen und wenn ich für mich sprechen kann, war es sehr berührend. 

Ein sehr besonderer Moment in dem Gottesdienst war aber das Abendmahl. Wie es immer üblich bei uns ist, machen wir als Gemeinde einen großen Kreis und brechen ein Baguettestück für den nächsten ab, sagen dabei bspw. „Jesus sei mit dir“ und trinken aus einem Weinkelch. An jenem Sonntag waren wir nun ein riesiger Kreis aus Deutschen und Franzosen, die in Namen Jesu versammelt waren und gemeinsam am Abendmahl teilnahmen. Das war für mich ein besonderes Zeichen deutsch-französischer Freundschaft und von Willkommensein in einer anderen Kultur.

Währenddessen hat Julius aus dem Chor einen wunderschönen Choral von Fauré auf dem Klavier gespielt und wir haben als Chor den Gottesdienst mit dem priesterlichen Segen in einer Komposition von John Rutter abgeschlossen. Für die Gemeinde als auch für mich hat dieser ereignisreiche Tag einen absoluten Höhepunkt in meinem Freiwilligendienst markiert.




Eine Empfindung toller Gemeinschaft hatte ich auch eine Woche zuvor während unseres Zwischenseminars in Tallinn erlebt. Bevor wir Freiwilligen aus Europa uns alle in Estland getroffen haben, war ich mit dem Zug nach England gefahren um den Mitfreiwilligen Daniel im Kloster auf dem Land zu besuchen. In einer rein natürlichen Umgebung haben wir zusammen an einem Zaun gearbeitet und ich habe in der sehr gastfreundlichen Brüderschaft zwei erholsame Tage genossen. Anschließend sind wir zu einem weiteren Freiwilligen nach London gefahren und zwei Tage später zusammen nach Tallinn geflogen. Neben dem gemeinsamen Austausch über unsere Projekte, unsere Ziele und Erlebnisse, haben wir natürlich viel gespielt, gelacht und gesungen. Die Zeit mit den anderen Freiwilligen war großartig und die Mittelalterstadt Tallinn ist ein spezieller Aufenthaltsort für uns gewesen.




Mit Christoph und Niklas durch die Stadt zu tingeln bleibt weiterhin ein großer Spaß und insbesondere für die letzte Hälfte habe ich mir vorgenommen, alles rauszuholen was ich aus der Freundschaft, der Stadt und dem Jahr profitieren kann. Es ist ein gutes Jahr und eine tolle Zeit.
Ich bedanke mich sehr dafür bei allen, die dies tragen und mich in dem Jahr begleiten!
Es tut mir Leid für die lange Pause, ich werde in Zukunft wieder mehr posten.

Tschüss,
Euer Gabriel



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