„Für
Franzosen bedeutet Demokratie, dass jeder tun kann was er will“,
sagte mir neulich eine Kollegin über ihr Volk. Ich musste lachen.
Wie wahr. Zugegebenermaßen ist es aber genau jenes Missverständnis
von Freiheit, welches ich als liebenswürdigen Mode de vie der
Franzosen aufgefasst und nicht selten nachgeahmt habe. Im Prinzip ist
es ja auch garnicht so verkehrt, die Dinge etwas weniger ernst zu
nehmen. Ich bin aber auch nicht der, dem ein Fahrradfahrer in der
Einbahnstraße entgegenkommt, der anhalten muss um die Fußgänger
über rot laufen zu lassen, der auf seine Verabredung warten oder den
falsch getrennten Müll der anderen sortieren muss. Mich stört das
nicht. Ich bin aber auch der andere. Ich kann an dieser unseriösen
Lebensart also nur Gefallen finden.
In
der Tat bin ich schon zweimal als Geisterfahrer in der Einbahnstraße
einem Polizeiauto entgegen gefahren ohne angehalten zu werden, auch
beim Über-rot-laufen muss man sich nicht vorher der reinen Luft
vergewissern. Schwarzfahrer gibt es hier en masse und für den Fall
des Falles sogar eine Versicherung. Parken muss auch nicht geübt
sein, solange die geknautschten Autos Franzosen gehören, die nicht
nur Stoßstangen als Gebrauchsgegenstand verstehen.
Das
Leben als Franzose ist für mich normal geworden wie der Käse zum
Wein. Ich liebe meine Vorstadt. Hier genießt man noch
Gemeinschaftsgefühl und Höflichkeit. Oft begegne ich Bekannten aus
der Gemeinde, dem Chor oder der Pfadfinderei, aber selbst viele
Obdachlose erkennen mich durch die Arbeit im Centre oder von Resto du
Coeur. Manche kenne ich schon mit Namen und führe Small Talk.
Darunter auch Monsieur Martin, der übrigens seine Gitarre wieder
hat. Die Arbeit bei Resto du Coeur, die ich im letzten Rundbrief
angekündigt habe, ist immer noch sehr wichtig für mich. Zwar habe
ich die morgendliche Lebensmittelausgabe aufgegeben weil sie gut und
alt besetzt ist, widme mich aber stattdessen der Speisung am Abend
bis in die Nacht (18 30 – 22). Auch hier erlebe ich oft sehr
solidarische und gemeinschaftliche Klienten.
Desweiteren
habe ich auch mein Wirken im Centre 72 ausbauen können.
Letztes
Jahr habe ich in der Pfadfinderei eher eine Mithelfer Funktion
ausgeübt und konnte die Auffassung meiner Kollegen nicht teilen, ein
Lehrer für die Jugendlichen zu sein. Nach Diskussionen und vielen
Vorschlägen, habe ich mich aber durchsetzen können, aktiver
Gestalter des Nachmittagprogrammes zu sein, was den Jugendlichen viel
Spaß bereitet. Wir handeln nun als Verantwortliche einen guten
Kompromiss zwischen Pädagogik und Spiel aus.
Nachdem
eine Ehrenamtliche aus dem Centre das Kochen von über 200 Marmeladen
für den jährlichen Weihnachtsmarkt aufgegeben hat, bin ich
begeistert davon, diese Aufgabe übernehmen zu dürfen. Mir macht das
unglaublich viel Spaß und es tut gut, neben so viel Beziehungsarbeit
auch etwas materiell-produktives zu leisten.
Musikalisch
sind auch neue Projekte am Start; Mit der Groupe Jeunes (den
Jugendlichen zwischen 15-18 Jahren), gestalte ich einmal im Monat die
Musik im neuen Abendgottesdienst unserer Gemeinde. Wir sind eine Band
bestehend aus Klavier, Violine, Flöte und Gitarre mit einigen
Sängern und singen jüngere Lieder des Liederbuches. Außerdem suche
ich gerade einige SängerInnen für einen Projektchor zusammen, der
am Ende des Schuljahres seinen Auftritt im Gottesdienst haben wird.
Das
musikalisch und auch in anderen Bereichen größtes Ereignis war aber
mit Abstand der Besuch meines Schulchors des ehemaligen Gymnasiums in
Essen. Schon als ich letztes Jahr dem Chor angekündigt hatte, im
folgenden Jahr aufgrund des Auslandsaufenthaltes nicht mehr im Chor
mitsingen zu können, hatte meine Chorleiterin sofort die Idee
ergriffen, mich mit dem Chor besuchen zu kommen und in der Gemeinde
zu singen. Und so kam es, dass ich am letzten Februar Wochenende
tatsächlich 12 (z. T. ehemalige) SchülerInnen, Eltern und unsere
Leiterin in den Arm nehmen konnte. Immer als ganze Gruppe zusammen,
haben wir 2 Tage lang in einer unglaublich freundschaftlichen und
lustigen Atmosphäre die Stadt erkundigt und überall gesungen;
Mit der Gitarre sangen wir an der Haltestelle, in der Bahn, am Eiffelturm, am Weinberg vom Sacré Coeur und mit Klavier am Bahnhof. Das eigentliche Konzert fand aber in meiner Gemeinde während dem Gottesdienst statt. In dem normalen Gottesdienstablauf eingebettet, haben wir von Beatles bis Rutter einige wunderschöne Lieder dargeboten und viel Dank von den Besuchern geerntet. Selbst ein französisches Lied haben die Mädchen vorgetragen und wenn ich für mich sprechen kann, war es sehr berührend.
Ein sehr besonderer Moment in dem Gottesdienst war aber das Abendmahl. Wie es immer üblich bei uns ist, machen wir als Gemeinde einen großen Kreis und brechen ein Baguettestück für den nächsten ab, sagen dabei bspw. „Jesus sei mit dir“ und trinken aus einem Weinkelch. An jenem Sonntag waren wir nun ein riesiger Kreis aus Deutschen und Franzosen, die in Namen Jesu versammelt waren und gemeinsam am Abendmahl teilnahmen. Das war für mich ein besonderes Zeichen deutsch-französischer Freundschaft und von Willkommensein in einer anderen Kultur.
Währenddessen
hat Julius aus dem Chor einen wunderschönen Choral von Fauré auf
dem Klavier gespielt und wir haben als Chor den Gottesdienst mit dem
priesterlichen Segen in einer Komposition von John Rutter
abgeschlossen. Für die Gemeinde als auch für mich hat dieser
ereignisreiche Tag einen absoluten Höhepunkt in meinem
Freiwilligendienst markiert.
Eine Empfindung toller Gemeinschaft hatte ich auch eine Woche zuvor während unseres Zwischenseminars in Tallinn erlebt. Bevor wir Freiwilligen aus Europa uns alle in Estland getroffen haben, war ich mit dem Zug nach England gefahren um den Mitfreiwilligen Daniel im Kloster auf dem Land zu besuchen. In einer rein natürlichen Umgebung haben wir zusammen an einem Zaun gearbeitet und ich habe in der sehr gastfreundlichen Brüderschaft zwei erholsame Tage genossen. Anschließend sind wir zu einem weiteren Freiwilligen nach London gefahren und zwei Tage später zusammen nach Tallinn geflogen. Neben dem gemeinsamen Austausch über unsere Projekte, unsere Ziele und Erlebnisse, haben wir natürlich viel gespielt, gelacht und gesungen. Die Zeit mit den anderen Freiwilligen war großartig und die Mittelalterstadt Tallinn ist ein spezieller Aufenthaltsort für uns gewesen.
Mit
Christoph und Niklas durch die Stadt zu tingeln bleibt weiterhin ein
großer Spaß und insbesondere für die letzte Hälfte habe ich mir
vorgenommen, alles rauszuholen was ich aus der Freundschaft, der
Stadt und dem Jahr profitieren kann. Es ist ein gutes Jahr und eine
tolle Zeit.
Ich
bedanke mich sehr dafür bei allen, die dies tragen und mich in dem
Jahr begleiten!
Es tut mir Leid für die lange Pause, ich werde in Zukunft wieder mehr posten.
Tschüss,
Euer
Gabriel
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